Die geheime Wut-Stärke Deines Kindes

Strategien, um besser mit Wut umzugehen

 

Erich Kästner sagte einmal „Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch.“

Ein sehr weiser Spruch, wie ich meine. Auch wenn wir als Eltern glauben, schon erwachsen zu sein, haben wir doch täglich die Chance mit unseren Kindern „mitzuwachsen“. Durch unsere Kinder haben wir die Möglichkeit, nach innen zu schauen, uns selbst zu reflektieren und daran zu wachsen.

Ein ganz besonderes Wachstumspotential bietet uns die WUT.

Wenn uns das ohnmächtige und unbändige Gefühl der Wut überkommt, werden wir oft wieder zu kleinen tobenden Kindern. Wut kennt kein Alter, aber im Unterschied zu Kindern, können wir als Erwachsene erklären, was uns wütend macht. Besonders Kleinkinder, die selbst noch nicht sprechen und ihre Gefühle verbal ausdrücken können, neigen oftmals zu Wutausbrüchen.

Bis soeben war die Welt noch in Ordnung und aus scheinbar heiterem Himmel wirft sich Dein Kind zu Boden und beginnt zu brüllen oder versucht sich, Dich oder andere zu schlagen. Vielleicht macht es auch etwas kaputt oder reagiert sich an einem Gegenstand ab. Hast Du Dir in so einer Situation schon einmal gedacht: „Was ist denn jetzt wieder? Wieso führt sich mein Kind jetzt so auf? Wegen jedem Schmarrn gibt es so ein Theater. Warum kann nicht alles normal ablaufen?“

Ich bin sicher, jeder von uns kennt solche Situationen und Gedanken.

Wie Du am besten damit umgehst, wenn der „Hut brennt“, zeige ich Dir gleich ein wenig später mit meinen 10 Tipps zum Umgang mit Wutausbrüchen. Aber sehen wir uns doch vorher die Emotion „Wut“ etwas genauer an.

Wut spielt sich auf der emotionalen Ebene ab und zählt zu unseren Grundemotionen. Die Wissenschaft spricht von sieben Grundemotionen: Freude, Schmerz, Trauer, Scham, Ekel, Wut und Angst. Hinter jeder dieser Emotionen steht ein Bedürfnis. Auch hinter der „Wut“.

 

Übersetzt bedeutet Wut „Ich brauche dich“ – „Ich brauche dich gerade sehr!“. Lass diese beiden Sätze auf Dich wirken. Stell Dir jetzt Dein tobendes Kind vor und höre seinen unausgesprochenen Hilferuf. Auch mir haben diese Sätze geholfen, die Wutanfälle meiner Kinder anders einzuordnen und selbst nicht in die Wutspirale mit einzusteigen.

Die große Frage, die Du Dir jetzt als nächstes stellen solltest, lautet: „Was macht der Wutanfall meines Kindes mit mir?“

Bitte nimm Dir genügend Zeit, um über folgende Fragen nachzudenken. Vielleicht möchtest Du sie auch in einem kleinen Notizbuch notieren.

 

  • Was tust Du, wenn Du wütend bist?
  • Wie gehst Du mit Wut um?
  • Welche Wut-Strategie hast Du im Laufe der Jahre entwickelt.
  • Und was machst Du, wenn die Wut vorbei ist? Rufst Du vielleicht Deine beste Freundin/Freund/Partner an und freust Dich über ihr offenes Ohr? Oder brauchst Du etwas länger, um wieder „abzukühlen“ und tust Dir schwer damit, wieder in den Alltag einzusteigen?

 

Es ist enorm wichtig und hilfreich, seine eigenen „Wut-Muster“ zu kennen, denn unsere Kinder sind an unser Nervensystem gekoppelt. Oftmals können sie unseren Stress, unsere Trauer und unsere Wut nicht von ihren eigenen Gefühlen unterscheiden. Genaugenommen durchleben sie unsere Wut und sind dadurch oftmals überfordert.

Vielleicht durftest Du als Kind Deine Wut nicht zeigen und hast so gelernt, Deine Wut zu unterdrücken. Oder Du hast den Glaubenssatz: „Ich bin nicht liebenswert, wenn ich wütend bin.“

Dazu möchte ich Dir ein kleines Gedankenspiel mitgeben: Stell Dir ein langes Kanalrohr vor. An einem Ende stehst Du und am anderen Ende steht Dein Kind. Gerade hast Du Dich über etwas geärgert, doch Du möchtest Deinem Kind Deine Wut nicht zeigen. Daher unterdrückst Du Deine Wut (bildlich: Du drückst Deine Wut hinunter ins Kanalrohr). Am anderen Ende des Rohres steht aber Dein Kind. Was passiert nun mit Deiner Wut? Sie kommt jetzt bei Deinem Kind hoch. Dein Kind lebt nun Deine unterdrückte Wut aus.

 

Kannst Du erkennen, was ich meine?

Für eine gesunde emotionale Entwicklung ist es daher unglaublich wichtig, zu lernen mit seiner eigenen Wut umzugehen und diese zu regulieren. Kinder sind noch nicht in der Lage ihr Handeln selbst zu reflektieren. Das lernen sie von uns. Wir sind ihre Vorbilder.

Wie Du in Wutsituationen agieren und Deinem Kind eine Stütze sein kannst, möchte ich Dir nun anhand der folgenden 10 hilfreichen Tipps zeigen:

 

  1. Lass Dein Kind nicht allein.
  2. Beschreibe die Situation: „Ich sehe du bist wütend.“ So lernt Dein Kind die Wut in Worte zu fassen.
  3. Zeige Verständnis für Dein Kind: „Ich verstehe, dass Du jetzt wütend bist.“
  4. Gib Deinem Kind Raum, um all seine Emotionen rauszulassen, vielleicht schreit es, weint bitterlich oder schlägt um sich.
  5. Hilfreich ist Körperkontakt, z.B. eine Umarmung. Durch das Berühren der Haut werden sofort Signale an den Vagus Nerv gesendet. Dieser wirkt wie eine Handbremse auf unser Nervensystem. Aber Achtung: Manchmal möchte Dein Kind in diesem Augenblick nicht angefasst werden. Dann lass ihm einfach Zeit und gib ihm das Gefühl „ich bin für Dich da, wenn Du mich brauchst“.
  6. Wenn sich die größte Wut gelegt hat, biete Deinem Kind eine Lösung an oder versucht gemeinsam eine zu finden. (Beispiel: Heute darfst Du nicht mehr Fernsehen – Kind wird wütend – aber was hältst Du davon, wenn wir noch gemeinsam eine Runde Karten spielen oder ich Dir dafür 2 Geschichten vorlese?) Dein Kind hat dann das Gefühl, es kann selbst mitentscheiden und das schafft Bindung.
  7. Denke immer daran, Du siehst in diesem Moment nur das Verhalten, aber auf der Bedürfnisebene liegt der wahre Grund:
  • das Bedürfnis gehört oder gesehen zu werden
  • das Bedürfnis nach Trost (wenn jemand etwas weggenommen hat, oder kaputt gemacht hat)
  • das Bedürfnis nach Autonomie („Wieso darf ich das jetzt nicht?“)
  1. Auch wir Eltern reagieren nicht immer richtig. Dann hilft ein „Es tut mir leid, dass war gerade nicht ok von mir“ Deinem Kind am meisten.
  2. Sei Dir bewusst, Dein Kind macht gerade eine schwere Zeit durch und ist dabei zu lernen seine eigenen Gefühle zu regulieren und in Worte zu fassen.
  3. Und für mich ein ganz wesentlicher Punkt, der mich schon durch viele Wutsituationen getragen hat: Manchmal ist es unsere Aufgabe, die Wut unserer Kinder einfach nur auszuhalten (auch wenn gerade ein kleiner Napoleon tobt :-).

 

Und was tun, wenn die Wut vorbei ist?

Jetzt ist „Reden“ angesagt. Wenn sich die Gemüter wieder beruhigt haben, besprich die vergangene Situation mit Deinem Kind.

  • Was hat dazu geführt?
  • Wo hat sich Dein Kind verletzt gefühlt?
  • Wo hast Du Dich selbst verletzt gefühlt?
  • Wie möchtet ihr künftig mit Wut-Situationen umgehen?

 

So hilfst Du Deinem Kind dabei, sich selbst besser zu spüren und seine Gefühlswelt schneller zu regulieren. Außerdem stärkst Du eure Bindung und Bindung bedeutet Nähe, Verständnis und Respekt auf beiden Seiten.

 

Vielleicht hilft es Dir auch, „Wut“ einmal mit anderen Augen zu sehen.

Wut ist nicht nur Schreien, Hauen, Toben, Verschlossen dasitzen, Türen zuknallen oder Schweigen.

Hinter jeder Wut steckt eine geheime Stärke:

  • Durchsetzungsfähigkeit
  • Willensstärke
  • Leidenschaft
  • Führungsqualität
  • Selbstbewusstsein

 

Wünschen wir uns nicht alle diese Stärken für unsere Kinder?

Unsere Aufgabe als Eltern ist es, diese geheimen Wut-Stärken zu bewahren, sie nicht zu unterdrücken und gleichzeitig unseren Kindern dabei zu helfen, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen, zu reflektieren und zu regulieren.

Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber ich wachse täglich mit meinen Kindern und dafür bin ich zutiefst dankbar.